Der alte Fuchs

ein treuer Diener seines Herrn

Der Tausch mit dem LT 110 hatte uns schwer beflügelt. Die Fahrt nach Hause war ein reines Vergnügen: Welch angenehmes Fahren; und dazu noch so forsch und kraftvoll. Ein Blick auf den Kilometerzähler schaffte Klarheit über die recht geruhsame Vergangenheit unseres neuen Arbeitskollegen. Von 1979 bis 1989 waren man gerade mal 280000 km angefallen. Einzig der beengte Platz in der sehr kurzen Nahverkehrskabine vermochte nicht unbedingt das Herz zu erfreuen. Aber nun war wenigstens wieder ein brauchbares Auto für die Arbeit auf dem Hof.

Blitzschnell wird die schweizer Bremse umgebaut und dann geht es auch schon auf die erste Probefahrt. Es ist noch nicht mal Zeit, den Schriftzug des ehemaligen Eigners zu entfernen, so gierig sind wir auf die erste Reise. Zusammen mit meinem Krupp-Kollegen Achim geht es nach Nürnberg. Dort habe ich von Klaus Schubert einen Mustang Möbelwagen gekauft und den wollen wir heimholen. Was soll ich sagen. Natürlich ging alles glatt. Der Scania lief wie ein Uhrwerk. Berge? Waren da überhaupt welche? Es war eine Lust, die 305 PS sich entfalten zu lassen. Und auch das Schlafproblem ließ sich lösen. Während ich über den Sitzen ruhte, wickelte sich Achim um den Schaltknüppel und machte es sich auf dem Fußboden bequem – oder eben auch unbequem? Improvisation war gefragt.

Viel Zeit sollte nicht mehr vergehen, bis der Alltag auch vor dem Scania nicht Halt machte. Der Krupp steckte mal wieder die Beine durch und so wurde der 111er flugs zugelassen und die ersten Reisen erfolgten noch im schweizer Grau. Im letzten Büchsenlicht des Jahres 1990 wird dann aber noch umlackiert in unsere Hausfarben. Zugleich verkleiden wir mit Lemmi das Chassis links und rechts und bauen ein elegantes Heck. Geschlafen wird allerdings noch immer über den Sitzen: Und wenn Achim mal wieder mitfährt, wie im Februar 90 zur Bergung des Krupp Büffel im Allgäu, dann wickelt er sich eben in alter Gewohnheit auf dem Fußboden um den Schaltknüppel zur Nachtruhe.

Der Scania ist hauptsächlich zur Überführung von Sattelaufliegern und Anhängern eingesetzt. Also muss er auch mit allem fertig werden können. Deshalb bekommt er unter der 2-Zoll-Sattelkupplung einen Schiebebock, um die unterschiedlichen vorderen Überhänge der Auflieger meistern zu können. Da es bisweilen auch Orientauflieger zu fahren gilt, lasse ich zusätzlich noch eine Wellplatte mit Königszapfen versehen und oben drauf eine 3,5-Zoll Kupplung montieren. Damit komme ich auf die notwendige Aufsattelhöhe von 1,65 m und kann eben die schweren Orientalen mit dem großen 3,5“-King Pin fahren. Das kann schon mal kein anderer Überführer. Luft und Elektrik hinter dem Fahrerhaus sind mittels Stecksystem auf alle gängigen Luft und Elektroanschlüsse in sekundenschnelle umgerüstet.

Aber hauptsächlich sind die langen 4-Achs Anhänger zu fahren, die Schmitz für Schweden produziert. Dafür haben wir exklusiv eine Genehmigung bekommen mit den Abmessungen 22 x 2,60 x 4,45 m. Es sind immerhin zwischen achtzig und hundert Stück pro Jahr vom Werk Vreden abzuholen und nach Travemünde zu bringen. Also ist am Heck des 111ers nicht nur eine Anhängerkupplung für deutsche Standardzugösen mit 40 mm Durchmesser montiert, sondern zusätzlich noch eine VBG-Kupplung, wie sie in Schweden verwendet wird.

Zudem ist am Heck die schwedische Elektrik neben der normalen 12- und 24 Volt Versorgung sowie eine Duomatic für die Bremsanschlüsse zusätzlich zu den Wabco-Köpfen angebracht. Außerdem gibt es am Fahrzeug einen Adapter für Anhänger mit 50 mm Schwergutauge und für die Nato-Ringzugöse. Wir lassen nix stehen! Und wenn trotzdem mal etwas nicht passen will, dann gibt es zusätzlich noch einen mobilen Lichtbalken, der im Unterfahrschutz integriert ist.

Das Geschäft floriert, so ist dann 1992 endlich Geld da, um die marode Ballastpritsche des Krupp, die auch dem Scania wegen der hohen Anhängelast aufgebürdet wurde, gegen einen Neubau auszutauschen. Und im Frühjahr 1993 dann ist endlich Schluss mit dem wilden campieren. Es muss ein Bett her, also gibt es einen Kaiserschnitt: Die Kabine wird um 27 cm verlängert – mehr geht wegen der neuen Sattelabmessungen mit 2,04 m Durchdrehmaß in der Diagonalen nicht – und bekommt ein erhöhtes Dach. Die Stirn ziert nun ein Leuchtkasten und nach der Lackierung wird darin stehen: “Der alte Fuchs“ aufgrund der alles umfassenden Ausstattung. Gleichzeitig wird die Verkleidung verschrottet. Jetzt bleibt das Chassis offen, damit man das Salz wegwaschen kann und der Rahmen nicht aufblüht. Dazu gibt es eine Dänenkiste mit Schubladen, um möglichst viel Stauraum zu schaffen. Damit sind wir bereit für neue Aufgaben, die sich bereits abzeichnen.

Gesprächstermin bei unserem Kunden FFG. Ein neuer Typ Fluggasttreppen ist aufgelegt worden. Diese Treppe ist so konstruiert, dass der Hubzylinder für den Transport ausgehängt werden kann und die Treppe zusammengelegt dann nur noch eine Höhe von 4 Metern aufweist. Aber leider sind die damals verfügbaren Tiefbetten alle zwischen 55 bis 60 cm hoch – zu hoch. Alle anderen Treppenhersteller demontieren deshalb ihre Produkte in Ober- und Unterwagen, fahren eben mit 2 Transporten um beim Kunden dann mehrere Tage zusammenzubauen. Das möchte FFG nicht. „Also Klausi, nun finde mal ‚ne Lösung.“ Und wieder mal hilft der Zufall. Bei einem Schrotti im Bergischen Land hatte ich ein merkwürdiges Tiefbett-Ungetüm gesehen. Das konnte ich kaufen und umbauen. Die Hinterachse haben wir durch eine Tiefladerachse ersetzt, die herausnehmbar war. Dann wurde das Bett zum Beladen auf der Erde abgelegt. So konnte mittels einer 6 m langen Rampenkonstruktion die Treppe mit eigenem Antrieb auf das Bett auffahren, welches unter Last dann 40 cm Höhe hatte. Beim Kunden wurde dann in weniger als zwei Stunden der Stempel wieder eingehängt – fertig – Abfahrt. Ganz Europa haben wir damit vollgefahren: Dresden, Leipzig, Frankfurt, Düsseldorf, Salzburg, Wien, Zürich, Bern, Paris, Brüssel … Und die Kohle hat gestimmt.


Um dennoch das Geschäft mit den Schweden-Anhängern nicht zu gefährden, musste nun aber der Krupp wieder mit in Einsatz. Diese Option war sowieso notwendig geworden, weil wir einen Auftrag bekommen hatten, 380 Aggregateanhänger zur Verschiffung in den Hafen zu bringen. Mit dem Krupp und mit DJ und seinem alten Mercedes-Hauber als Helfer haben wir uns die Nächte um die Ohren geschlagen, um das Lot rechtzeitig zum Schuppen zu bringen Der V6er hatte inzwischen nach längerem Stillstand eine fast neue Maschine bekommen und bei der Gelegenheit auch gleich eine Fahrerhausoperation über sich ergehen lassen müssen. Wenn der Scania mit dem Tiefbett unterwegs war hatten wir nun die Krupp Zugmaschine zur Verfügung, um die 1000 km-Runde Bilsen-Vreden-Travemünde-Bilsen zu absolvieren . Nach Feierabend los, nachts anhängen, morgens in Trave abhängen, mittags wieder zuhause im Büro. So lief meine Runde.

Nur kurz währt die Bemalung dann mit einer weißen Viertelkreis-Zeichnung. In dieser Zeit entsteht aber das Bild für die Weihnachtskarte in Padborg. Bei eisigem Wind und heftigen Minusgraden gelingt es schließlich unserem Hausfotografen Mauschelöl ein Bild festzuhalten, ohne dass der große Weihnachtsmann durch stetige Windböen in Schieflage gehalten wird.

In der „blauen Phase“ wurde der Scania überwiegend von Helmut gefahren, einem alten Chauffeur, der die Ruhe weg hatte. Ebenso sprach er auch und bisweilen blieb er dabei auch wohl mal hängen. Aber sonst war er eine Seele von Mensch. . Was waren das für schöne Tage, wenn wir mal ‚n lütten Köm genommen haben und Helmut dann zu seiner Klampfe gesungen hat. Dann war auch der kleine Sprachfehler weg. Nun sollte er sich bei den Usingers einen Semi holen und damit 3 Pontons zu jeweils 18 to von Hamburg nach Bad Oldesloe in den Schrott fahren. Am späteren Vormittag ruft Helmut vom Handy an „Du Klaus, ick weet gaar nich, wat los is, de Scania treckt gaar nich so recht.“ „Helmut, hest du den noog Sprit? Du hest em doch full maakt?“ „Kunn meist ween, dat dat an dat Gewicht liegt.“ „Helmut, dat is doch keen Gewicht mit 18 Tonns. Daar glöv ick nich an.“ „Wo keemst du dor op? Ick heff doch all 3 tohoop lood.“ „?!“ Auf der Waage waren es dann 68,5 Tonnen.

Eine der ganz wenigen Pannen sollte auch unter Helmuts Regie stattfinden. Er war dabei, eine Serie von Orientaufliegern von Ulm nach Genua zu bringen. Mitten im Feierabendverkehr platzte dann in Mailand ein Bremsschlauch an der Hinterachse. „Helmut, bloß nicht bremsen. Du kannst nur ein mal notbremsen, denn steiht de Waagen und löst nich mehr“. Glücklicherweise waren die Karabinieri direkt hinter ihm, haben den Verkehr gestoppt und ihn auf eine Tankstelle geleitet, die direkt vor ihnen lag. Ein weiteres Malheur ereilte mich auf einer Reise nach Budapest. In Erinnerung an alte Zeiten war ich durch das Erzgebirge über den Zinnwald gefahren. Die Steigungen anschließend durch die Tschechei und Slowakei hatten meinem schon recht dünnen Schalldämpfer bereits hart zugesetzt. Das ließ sich jedoch in Györ noch schweißen. Nach dem Entladen auf dem Flughafen ereilte mich auf der Rückreise dann das Schicksal. Kurz hinter der österreichischen Grenze fiel die komplette Elektrik aus. Im Hellen kämpfte ich mich noch durch bis zu Helmut Radlmeier in Bayern. Nach langem Suchen konnten wir endlich den Fehler beseitigen. Das Zündschloß war defekt und so legten wir eine direkte Leitung zum Überbrücken des Zündschlosses. Damit ging es dann nach Hause. Seit zu Beginn des 21.Jahrhunderts die Produktion der Faltwandanhänger von Schmitz nach Litauen verlegt wurde, ist der „alte Fuchs“ langsam immer mehr in den Ruhestand gerutscht. Ein heftiges Aufbäumen gab es noch einmal, als es galt, mehrere Hundert Containerchassis im Dreierpack von Gotha nach Hamburg in den Hafen zu bringen. Diese waren für die American Forces in Kuwait bestimmt und hatten die schweren 3,5-Zoll Königszapfen und natürlich 1,60 m Aufsattelhöhe. Da durfte der Fuchs noch mal ordentlich mit anfassen. Ansonsten ist es ruhig geworden um ihn. Fast ist er inzwischen häufiger als Oldi unterwegs, als im aktiven Einsatz. Aber bisweilen darf er doch noch mal raus. Vor geraumer Zeit waren wir mit dem Tieflader nach Glasgow. Dann und wann gilt es, mal einen Sieb- oder Brechanlage umzusetzen und immerhin fahren wir doch bisweilen noch Anhänger für Norwegen oder Schweden – allerdings sind es jetzt Kipper. Dennoch immer ein willkommener Einsatz, um dem Büroalltag zu entkommen.
Inzwischen hat „der alte Fuchs“ bei uns nun schon eine Million Kilometer abgespult. Und dennoch ist er noch kein bisschen müde. Allerdings sind auch an ihm die Jahre nicht ganz spurlos vorbeigegangen. Und so haben wir ihm noch einmal eine Renovierung spendiert, damit er uns auch über die kommenden Jahre noch viel Freude bereiten möge.

-->