Wer ist Palmström?

Wer ist denn nun bloß Palmström? Wo kommt der denn plötzlich her? Was treibt ihn um? Manch einer mag ihn wohl mit der feinsinnigen Figur „Palmström“ des etwas verqueren Dichters Christian Morgenstern in Verbindung bringen. Tatsächlich ist wohl unser Palmström ein direkter Nachfahre dieses gewissen Herrn Palmström, dem Morgenstern so manche schrullige Weisheit auf meist humorige Art in den Mund gelegt hat.

Schon seine Vorfahren waren der Armut des schwedischen Mutterlandes entflohen, um in der Fremde ein besseres Los zu suchen. Mittellos wie sie waren, fanden sie zunächst Unterkunft bei der Svenska Sjöfartskyrka in Hamburg. Durch deren Vermittlung gelang es schon nach kurzer Zeit, die Vertretung der international tätigen Spedition Forsblad & Son, Göteborg zu übernehmen.
Wie auch andere Landsleute – so zum Beispiel Alexander Malmström oder Eijnar Lindquist – versuchte Junior Palmström dann sein Glück nach dem Kriege erneut im Transportgewerbe, um die darbende Familie zu ernähren. Denn Transportraum war damals eine rechte Mangelerscheinung und der erste – auf abenteuerliche Weise beschaffte - schon tüchtig verschlissene 2,5 Tonner Lastwagen wurde sehr kräftig nachgefragt, um Kohle und Nahrungsmittel in die große Stadt zu bringen. Im Gegenzug wurden Trümmersteine als Tauschmittel mitgenommen. Schon sehr bald ergab sich die Gelegenheit für Junior Palmström, zunächst als Teilhaber in eine Quartiersfirma einzusteigen. Der kleine Fuhrbetrieb mit dem ganzen Stolz der Familie -einem neu angeschafften Südwerke Lastwagen - und zwei kleinen Rollwagen bildete dabei eine willkommene Ergänzung, konnten doch nun die nötigen Umfuhren in eigener Regie durchgeführt werden. Stets konnte jedoch im Verlaufe der kommenden Jahre beobachtet werden, dass Palmström mit Geschick, Humor und trotzdem mit Anstand seine Geschäfte zu führen pflegte, stets loyal unterstützt von seiner Gemahlin Lucie, die ihm zwei wohl geratene Töchter schenkte (Höhere-Töchter-Schule). Ein Knabe, der die Nachfolge hätte antreten können, blieb ihnen allerdings verwehrt. Dem Vernehmen nach soll Palmström niemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein. Dennoch prosperierte das Geschäft, die Familie genoss hohes Ansehen und es gelang mit stetem Fleiss, ein kleines Vermögen anzusammeln, welches Frau Lucie gestreng verwaltete. Gleichwohl gelang es unserem listigen Freund, seiner wachsamen Angetrauten gelegentlich ein Schnippchen zu schlagen, verwahrte er doch in seinem Futteral für den Kneifer stets eine heimlich beiseite geschaffte nicht unbedeutende Barschaft, die er geschickt dazu einsetzte, sich bisweilen im Verbund mit seinen Kumpanen auf das Deftigste zu amüsieren. Trotz alledem ein rechtschaffener Patron und braver Steuerzahler, ein Vorbild also unser Palmström, dem wir gern mit der Wahl seines Namens ein Denkmal setzen wollten.

Während der vielen Jahre, in denen ich mich mit alten Lastwagen beschäftigt habe, hat sich eine Kreativität entwickelt, um den Fahrzeugen, die bei uns entstanden, ein eigenes Leben einzuhauchen. Was mir als Fuhrmann nie gelang, da die pekuniären Umstände dies zu verhindern wussten, sollte doch in den alten Lastern seinen Niederschlag finden. So war es nie mein Anliegen, Laster zu schaffen, die einem Prospekt entschlüpft sein könnten. Vielmehr soll ein Ferntransporter praktisch sein und die Arbeit zur Freude werden lassen. Dazu gehören eine Reihe von Attributen, die ab Werk nicht zu erhalten sind. Ein guter Fernfahrer trägt einen gesunden Idealismus in sich und das spiegelt sich in seinem Fahrzeug wieder. Es sind die kleinen Unterschiede, die seinem Wagen sein besonderes Gepräge geben. Ganz speziell die Fahrzeuge der vierziger Jahre, die den Krieg überdauert haben, bieten einen großen gestalterischen Spielraum. So war es immer mein Bestreben, einen Wagen aus dieser Zeit zu besitzen. Damals wurden die Wagen aus verschiedenen Komponenten zusammengeflickt, z.B. die Achsen vom Mack, Motor vom Deutz, Haube vom Einheitsdiesel, Aufbau aus dem Holz von Seekisten und die Kabine meist neu gestaltet in der Dorfschmiede. Es gab ja noch nichts Neues zu kaufen. Auch die Laster der Fünfziger hatten noch den Charme des individuell gefertigten Boliden, häufig genug mit Kabinen, die dem Wunsche der Fuhrherren nachempfunden waren, weil das Werksfahrerhaus zu klein war und/oder keine Schlafmöglichkeit bot. Das sollte sich dann mit Einführung der Frontlenker zu Beginn der sechziger Jahre drastisch ändern. In diese Generation floss schon die Serienfertigung ein, das Baukastenprinzip wurde zur Pflicht, um im harten Konkurrenzkampf der Fahrzeugbauer untereinander zu überleben. Die Kabinen waren in Nah- und Fernverkehrsausführung zu bekommen und wurden mit kleinen baulichen Veränderungen auf Frontlenkern wie auf Haubenwagen montiert. Da sie somit bereits einen recht ordentlichen Komfort boten, war eine individuelle Kabine auch aufgrund der höheren Anschaffungskosten nur noch die Ausnahme.

Unser erster Oldtimer, angeschafft im Frühjahr 1984, war also ein Wunschauto. Es war immer klar, dass es ein Krupp Zweitakter werden müsste. Zudem hatten es mir die Mustang- Kofferzüge von Gerhard Teckentrup aus Beckum angetan, die uns mit HB oder Orienta-Reklame auf unserem Weg in die Ruhr häufig auf der Autobahn entgegenkamen. Unser Krupp Tiger, ehemals aus dem Bestand der Continental Gummi-Werke, war 1956 von Kässbohrer auf gleiche Weise aufgebaut worden. Der Kofferwagen lief mit einem 16-t-Anhänger auf der Linie Hannover-Korbach, brachte Rohstoffe in das dortige Zweigwerk und Fertigprodukte wieder mit zurück. Das in den Kofferaufbau integrierte Führerhaus ist von edlem Gepräge und in feinstem Holz ausgekleidet. Ein solch schönes Auto erfordert eine ansprechende Gestaltung. Im Gegensatz zu den sonstigen Oldies sollte ihm das Flair des eleganten Ferntransporters aus den Fünfzigern vorauseilen. Dazu gehörte zunächst einmal das Standortschild, der „rote Strich“, wie er unter Insidern genannt wurde. Silberne Zierringe in den Felgen und auch die damals recht häufige Beschriftung der Stoßstange waren ebenfalls Attribute, die noch niemand zuvor benutzt hatte. Dann musste ein Anhängerdreieck her und natürlich der damals sehr gebräuchliche Suchscheinwerfer, nicht zu vergessen die obligatorischen Pendelwinker. Schließlich gehört zu einem echten Fernverkehrswagen eine beschriftete Tür, die Bemalung natürlich nach altem Brauch aufgebracht mit Rindertalg, Bleifolie und Talkumbeutel.

Bereits 1935 wurde verordnet, dass an den Türen Name und Wohnort des Unternehmers anzubringen sei. Dieser Brauch wurde noch über lange Jahre hinaus von vielen Fuhrbetrieben weiter genutzt und häufig zusätzlich durch ein Signet ergänzt, welches die Mobilität versinnbildlichen sollte: Es musste also noch ein Flügelrad her (das zeichnete uns in der späteren Version freundlicherweise Steve Schmidt). Und schon war ein Wagen entstanden, wie er bis dahin mit einer solchen Ausstattung im Kreise der Oldtimer Lastwagen noch nicht aufgetaucht war. Es folgten bei weiteren Restaurationen z.B. Schilderkästen auf der Stirn der Dächer, die ersten beschrifteten Klappen, Geschirrkisten an Motorwagen und unter den Anhängern, Stockwinden als Wagenheber auf dem Trittbrett, Reserveradhalter als Körbe unter dem Heck, die ersten beschrifteten Tuchplanen ( nach altem Brauch aufgebracht mit Bleiweiß, welches mit Asche eingefärbt wird), Rautenbänder an den Klappen und viele andere kleine Schmankerln, die das Erscheinungsbild der Fahrzeuge so besonders machten. Im Inneren hielten wieder Blumenvasen und zeitgenössische Maskottchen Einzug. Es verwundert wohl nicht, dass wir 1988 auch den ersten kompletten Fernverkehrslastzug in der Szene als Anhängerkombination auf einem Treffen präsentierten.

Kaum zu unterdrücken ist der Wunsch, neu angeschaffte Fahrzeuge auch in völlig anderer Aufmachung zu gestalten. Es müssen ja nicht alle gleich aussehen. Das Spiel mit der Farbe gibt neue Möglichkeiten der Individualisierung, wenngleich auch nicht die volle Vielfalt der Farben genutzt werden kann. Um den Charakter des alten Autos nicht zu zerstören muss man behutsam mit eher gedeckten Farben arbeiten. Nun hatten wir endlich den lang herbeigesehnten Lastwagen der vierziger Jahre gefunden, einen Südwerke L45. Die Grundfarbe des Südwerke sollte also unauffällig aber trotzdem ansprechend sein. Die Wahl fiel somit auf ein blaugrau als Hauptfarbe gepaart mit den damals weit verbreiteten dunklen Kotflügeln. Erstmals erwacht nun bei der Gestaltung des Südwerke der Wunsch, eine fiktive Firma als Eigentümer nachzuempfinden. „Kuddl Daddeldu“ wäre eine tolle Wahl gewesen, der Chaot und Trunkenbold, den Ringelnatz erschaffen hat. Doch der Name klingt zu fiktiv, zu wirklichkeitsfremd.

Da kam uns „Palmström“ in den Sinn, der Mann, der den meisten als rechtschaffener Steuerzahler in guter Erinnerung geblieben war. Durchaus ein seriöser Name, wenngleich auch nicht abgehoben. Trotzdem erahnt man doch hinter der bürgerlichen Fassade einen Menschen mit kleinen Fehlern; ein Aufrechter, der auch manchmal strauchelt. Ein Mensch, dem man Sympathie entgegenbringen kann, weil er so ist, wie Du und ich. Manchmal Vorbild und manchmal eben auch nicht. Der Zusatz „& Consorten“ macht das Bild von ihm noch deutlicher. Der Begriff entstammt dem Hamburger Hafen und ist unter den Quartiersleuten gebräuchlich. So steht er vor uns: Aufrecht mit weissem Leinenhemd, schwarzer Tuchjacke und Elbsegler. Manchmal allerdings auch etwas gebeugt auf den Handstock gestützt, wenn er leicht schlingernd aus der Kneipe nach Hause wankt: Den Hut schief im Nacken, die Jacke verdwass zugeknöpft und `n büschen schietig von flätig weggewischter Zigarrenasche. Und darunter blitzt der etwas fleckig gewordene Hemdzipfel hervor. „Junge, dat weer aaber ook ´n dulle Nacht bi Köm und Beer und Klapper-Jass.“

Im Laufe der Jahre wird Palmström noch einige Weggefährten bekommen: Liekedeeler & Cie, Wilhelm Stummeldreiher, Fiete Flinkfoot sind nur einige Querköppe, denen wir zu neuem Leben verholfen haben. Aber niemand konnte Palmström jemals das Wasser reichen in seiner Vielschichtigkeit: Immer respektabel - wenngleich auch mit kleinen Macken.