In Lohn und Brot!

Nach der Schulzeit und den 18 Monaten bei der Bundeswehr begann ich meine Lehre bei Schenker in Hamburg. Schon im dritten Monat wurde ich in die Spezialabteilung für Tiertransporte versetzt – kein Job für Blutarme, aber genau richtig für mich: Immer auf Achse. Das hatte unser Personalchef Fiete Evert schon richtig erkannt. Mein Ruf eilte mir voraus. So wurde ich schon frühzeitig „reisender Spediteur“, kaum im Büro, kaum in der Schule, aber immer mit dem Kombi unterwegs, Schreibmaschine, Pedigrees und Anbindestricke im Gepäck, um in ganz Europa Zuchtviehtransporte per Bahn, Schiff, LKW oder Flugzeug abzufertigen. Dank einer guten Bezahlung und einer Menge Überstunden konnte ich nun auch damit beginnen, meinen Führerschein der Klasse 2 zu machen. Die Übungsfahrten durfte ich in Hamburg mit einem L 322, einem Mercedes Kurzhauber absolvieren. Insgesamt kam ich mit 3 Stunden aus, dazu die Prüfungsfahrt. Zusammen mit den Gebühren war ich mit schlanken 320 DM dabei. Aber nun musste ja die neue Pappe auch mal in der Praxis eingeweiht werden. Da erhebt sich nur die Frage, wer denn so einem Jungspund überhaupt einen teuren Fernlastzug anvertrauen würde. Mein erster Anruf galt Wilhelm Altermann aus Felm. Der hatte einen Mercedes LP 334 mit Fernverkehrskabine im Einsatz, meinem Favoriten. Aber den wollte er mir nicht geben. Er nannte auch noch einen MAN 10.210 sein Eigen, den er selbst fuhr. Nun hatte er sich gerade den Fuß gebrochen und wollte mich liebend gern für zwei Wochen als Aushilfe einstellen – mit ihm als Beifahrer. Da hatte ich schon ein wenig Manschetten, aber ich wollte auch durchaus nicht mit einem MAN auf Tour gehen. Irgendwie waren das für mich „arme-Leute-Autos“. Aber wo sollte man fragen? An die renommierten Fuhrleute wagte ich mich nicht ran und nach noch zwei Absagen bei Firmen, die die richtigen Wagen nach meinem Geschmack unterhielten, machte ich mich auf den Weg zur Spedition Franz Hagemann in Kiel. Ehemals ein hoch nobler Kieler Betrieb mit reinrassigem Büssing Fuhrpark, hatte der Name im Laufe der Jahre doch etwas an Glanz verloren. Der Fuhrpark war mittlerweile kunterbunt und bei der Auswahl der Fahrer war man offenbar nicht sehr wählerisch, wie ich mich aus meiner Fahrenszeit bei Erich Jacks erinnerte. Und so kam es, dass ich 14 Tage Urlaub nahm, um bei Hagemann in die Ferne zu fahren.

Als zweiter Mann durfte ich nun auf einem echten Dampfhammer meine ersten legalen Kilometer zurücklegen. Ich kam zu Manni S. auf einen Magirus 310 D 16 mit einem (leider hässlichen) Dreiachsanhänger aus dem Hause Fruehauf in Schierling. Damals festigte sich in mir der Respekt für diesen Kraftprotz, der sich im Antritt aber auch im Kampf am Berg durchaus wacker behaupten konnte. Und wir fuhren beileibe nicht etwa leer oder mit wenig Last. Es gab immer komplette Stiche mit voller Nutzlast, die bei 25 Tonnen lag. Unsere letzte gemeinsame Tour führte uns zu einem Steinbruch, in dem wir mit losen Granitbrocken von stattlicher Größe beladen wurden. Die Waage zeigte eine Zuladung von 27 Tonnen an. Der Abstieg vom Bruch war schon eine Klasse für sich. Nach einem längeren heftigen Gefälle ging es scharf rechts herum. Nicht zu schaffen mit dem Zug. Allerdings hatte man die Gefällestrecke über die Abbiegung hinaus in eine Wiese hinein mit Schotter verlängert. So konnte man etwas ausholen und musste dann kurz zurückschieben, ehe es dann weiter vorwärts herunter ging. Für die Lastwagen mit Steckachsen war das ganz sicher eine tolle Herausforderung. Der Magirus mit seinen Aussenplaneten konnte da souverän mit umgehen.

Üblicherweise fuhr man von Süden kommend auf der Lübecker Autobahn östlich an Hamburg vorbei bis Bargteheide und bog dort auf die B 404 ab (ehemals als Kieler Schnellweg bezeichnet), um in die Landeshauptstadt Kiel zu gelangen. Damit konnte man sich den Hamburger Stadtverkehr ersparen, denn die Autobahn in Richtung Kiel/Flensburg gab es noch nicht. Auf dem Heimweg von unserer letzten gemeinsamen Tour war aber die B 404 kurzfristig gesperrt worden und Manni war die ganze Rückfahrt über schon sichtlich nervös. Er hatte Angst, durch Hamburg zu fahren. Kaum dass es ein anderes Thema gab. „Wo ist das Problem, Manni, dann fahr ich eben durch Hamburg.“ Und so kam es, dass wir in Stillhorn wechselten und ich mich ans Lenkrad setzte. Für mich als Wahl-Hamburger war natürlich die Strecke schon mal gar kein Problem. Im Stechschritt ging es durch die Stadt. Ganze zwanzig Minuten haben wir gebraucht von den Elbbrücken bis nach Schnelsen an die B4. Manni hätte fast die Armlehnen abgebrochen von dem schönen Ruhesessel auf der Beifahrerseite. Er schwebte mehr über dem Sitz, als dass er saß. Zur Belohnung sind wir dann in Langeln bei Wilhelmine Halfeld angekehrt in der alten Fernfahrerkneipe „Stadt Kiel“. Nach so viel Aufregung ist ein Gläschen Weinbrand eine Wohltat.

Auch während meiner mehrjährigen Tätigkeit als mobiler Tierspediteur gab es durchaus bisweilen die Möglichkeit, hin und wieder einen Viehzug zu lenken. Unser Vertragsunternehmer Ewald Hefter aus Siegburg war immer gern bereit, mir bei passender Gelegenheit mal über die Wochenenden die eine oder andere Tour mit einem seiner Züge zu überlassen. Die wohl klingenden MB 1620 waren spielend leicht zu beherrschen, der einzige 1623 im Fuhrpark ein widerspenstiges Schwein und der 256er Magirus, den sonst Stefano Errante fuhr, ein Superauto. Sehr bemerkenswert war auch der einzige „wisse Zug“: Ein gebraucht zugekaufter in weiß und hellgrün gehaltener Kälberzug mit einem LP 1632er Motorwagen mit 12 m Anhänger mit Lenkachsaggregat. Was für eine Erscheinung: 20 m lang! Da war man König, obwohl der Hänger immer aus der Spur lief. Ich hab sie alle unterm Arsch gehabt.

Meine anschließende Zeit bei einer Pferdetransportfirma vermag nicht unbedingt mein Image aufzubessern. Mit 100 (mageren Mercedes-)PS wirklich quer durch Europa mitzuspielen, ist dazu angetan, die Gardine links vorzuziehen; nur damals hatten wir sowas Tolles noch nicht. Dafür aber eine Heizung, die dir im Sommer durch das Bodenblech gnadenlos die Motorwärme in die Fresse blies und im Winter den Schnurrbart gefrieren ließ. Die Kollegen mit ihren modernen Wagen konnten mit den Anhängern nicht umgehen, also durfte ich mit der 22 Jahre alten „Oma“ auch noch die Hängertouren absolvieren. Hamburg-Rosenheim mit 15 Polopferden 20 Stunden reine Fahrzeit. Pause? Dann fangen die Biester an, mit den Hinterläufen auszuschlagen. Also weiter! In Rosenheim gleich wieder laden für Paderborn. Von Paderborn gleich weiter nach…. 3 Monate im Sommer fast ohne Schlaf. Die Kutscher von Schmalbach-Lubeca hatten dagegen einen Traumjob. Die krochen zwar auch mit ihren überaus dürftig motorisierten Röchelkisten immer vorne vorweg, aber die hatten mal Feierabend. Aber so hatte ich wenigstens eine Vorstellung davon, wie lieb mich die Kollegen im nächsten Überholverbot wohl hätten. Und trotzdem: Autofahren kann nur der lernen, der mit den wenigen PS um jede Drehzahl kämpfen muss. Manchmal dauert es sehr lang, aber ich krieg euch schon, denn jeder wird irgendwann müde und unkonzentriert, der Fuß drückt nicht mehr kräftig genug auf’s Gas. Dann kommt meine Stunde, die Hundewache. Dann krieche ich mit meiner Möhre an euch vorbei und kassiere euch, dass euch der Schreck darüber wieder erwachen lässt.

Ich kam mit 15 Pferden geladen aus Rosenheim und hatte das langweile Stück der Autobahn A3 kurz hinter Geiselwind in Richtung Würzburg zu fassen, kurz vor Mitternacht, müde wie ein Hund und geplagt von der Hitze hing ich über dem Lenkrad. Eine halbe Stunde Augenpflege war längst überfällig. Aber ich sollte am kommenden Morgen bereits in der Kaserne bei den Briten in Schloß Holte bei Bielefeld sein. Im Rückspiegel konnte ich sehen, dass ein LKW hinter mir ansetzte, um mich zu überholen. Der war ja fast genauso behäbig unterwegs wie ich. Langsam schob er sich auf gleiche Höhe mit mir. Aha, rotes Führerhaus, ein Fiat, trotz meiner kleinen Augen konnte ich einwandfrei einen Türken erkennen. Der konnte offenbar auch gut eine Pause gebrauchen. Dann war er mit der Kabine vorbei – und zog seelenruhig rechts rüber. Aber da kam ja noch der Sattelauflieger hinterher. Schlagartig war ich hellwach und riß die „Oma“ mit einem Ruck auf den Standstreifen. Oha, das war knapp. Fast hätte der Türke mir den Auflieger in die Kabine gedrückt. Einzig die Pferde quittierten das Manöver mit üblem Getrampel. Eines donnerte sogar mit den Hinterläufen gegen die Trennwand zum Fahrerhaus. Mich packte die Wut – das schreit nach Vergeltung. „Put the hammer down!“ Ich stand schon mit dem Gasfuß in der Ölwanne. Aber da spielte sich ja leider nicht so viel ab – dank meines vehement befeuerten Sternträgers. Der Türke ging mir zwar langsam aber umso sicherer von der Fahne. Ich fuhr mit allen Tricks, versuchte krampfhaft an ihm dran zu bleiben. In den kleinsten Gefällen flog der Gang raus, um über die Höchstgeschwindigkeit zu kommen. Dabei muss man trotz allem Vorsicht walten lassen, damit die Kiste nicht zu schnell wird, also nicht gleich oben auf der Kuppe rollen lassen. Dann nimmt der Zug am Ende durch sein Eigengewicht zu viel Fahrt auf und ist im Notfall nicht mehr zu bremsen. Und mit den Pferden als Passagier kommt noch hinzu, dass sie ab 100 km/h unruhig werden und tänzeln, was den Zug ins Schwanken bringt, denn Stabilisatoren kannten wir damals noch nicht. Immer weiter entfernte sich der Fiat. Aber ich wollte ihn haben. Von Müdigkeit keine Spur mehr. Ich rang meiner Oma jede einzelne Drehzahl verbissen ab. Ich konnte nur noch das linke Schlusslicht des türkischen Aufliegers sehen – rechts war die Leuchte kaputt – dann war auch dies verschwunden. Aber ich spürte ihn, ich wusste, dass er da vorn ist und ich wollte ihn haben. Der Stich zur Raststätte Würzburg zwang mich ins Schritttempo. Leicht von Gas, Gang raus, Vollgas und gleichzeitig den nächst kleineren Gang reinhämmern – Kuppel kostet Zeit und Drehzahl, es geht ohne viel schneller. Die Hitze vom Motor war infernalisch. Aber dann ging es wieder bergab mit Getöse. Mit Schwung in den nächsten Berg – keine einzige Drehzahl verschenken – der Daimler heult und kreischt. Aber es gibt kein Pardon –weiter – weiter – immer weiter. Ich weiß, er ist da vorne und ich will es ihm heimzahlen. Und dann taucht vor mir ein linkes Schlußlicht auf. Da ist er! Jetzt ist er müde und reif. Langsam, ganz langsam wird das Rücklicht größer. Ich komme, mein Freund, jetzt nimm dich in Acht. Die Konturen werden deutlicher. Die schmutzige, blaue Plane, die verdreckte Heckklappe – hab ich dich! Die Straße ist eben, da kann ich nicht am Berg neben ihm verrecken, also links raus. Der rechte Fuß schmerzt schon, so presse ich ihn gegen das Bodenblech. Zentimeter für Zentimeter schiebe ich mich an ihm vorbei: Aufliegerachsen, Mittelrunge, Stirnwand, dann bin ich auf Höhe seines Führerhauses. Schemenhaft erkenne ich ein zusammengesunkenes Männchen, der ebenso am Ende ist, wie ich auch. Weiter, ich bin mit dem Motorwagen an ihm vorbei, noch ein wenig weiter bis die Hinterachse meines Anhängers auf Höhe seines Fahrerhauses ist. Jetzt ist es so weit für seine Lektion: Einmal kurz rechts anziehen und wieder links rüber, damit der Hänger das Tänzeln anfängt und auf wenige Zentimeter in Richtung seiner Kabine schlenkert. Aha, da hat er sich schon erschrocken und nach rechts pariert. So, nun noch einmal dasselbe Spiel: rechts – links – Kombination. Nun ist er bestimmt wach. Er fällt zurück und zügig gewinne ich Abstand. Aber die Adrenalindröhnung lässt nun merklich nach, die Erschöpfung ergreift von mir Besitz. Jetzt wird es höchste Zeit anzubinden. Mit letzter Kraft rolle ich auf die Raststätte Rohrbrunn/Spessart. Schnell noch Pinkeln, dann raus aus den Klamotten und ab in die Koje. Doch halt: Wer fährt denn da direkt in die Parkbucht neben mir? Das ist doch mein Türke. Na, wenn das man nicht noch Streit gibt. Gibt es aber nicht. Der ist genauso froh, in sein Himmelbett zu kommen. Zack ist er verschwunden. Das waren mal eben 100 km Jagd – fast zwei Stunden. Wieder zwei Stunden im Sack, 100 km weiter. Das ist es, was zählt. Die Jagd hält dich wach. Gut, es ist sicherlich nicht die feine Art, dem Kollegen seinen Fahrfehler derart beherzt aufzuzeigen. Aber man bedenke mal die Zeit. Damals lag der Hammer neben dem Fahrersitz, um die Klappenhaken aufzuschlagen. Aber er wurde durchaus auch schon mal als Argumentationshilfe benutzt.

Mein anschließender Job sollte dann das Sprungbrett in die Selbstständigkeit werden. Ich heuerte bei Köhler Fahrzeugbau an, um etwas mit Lastwagen zu tun zu haben und  gleichzeitig meinem inneren Ziehen nachzugeben, ferne Länder kennenzulernen. In den zwei  Jahren verkaufte ich schwerste Lastzüge in Algerien , Sudan, Syrien und im Iraq. Es war eine fantastische Zeit; gleichzeitig handelte ich als gelernter Spediteur als Problemlöser für so manches Ungemach, welches uns die wilden Überführer hinterließen: aufgegebene Lastwagen wiederfinden, verunfallte Fahrzeuge irgendwo im Niemandsland wieder instand setzen oder beschlagnahmte Ersatzteile bei den Behörden wieder heraushandeln – bestes Rüstzeug für die Zukunft.

Es war am Montag dem 19.Dezember 1977. In Erwartung einer beschaulichen Vorweihnachtswoche saßen wir – mein Kollege vom Innendienst Ulli S. und ich - gemütlich beieinander bei einer Tasse Kaffee. Die Arbeit für das Jahr war getan. Es galt nur noch, die verbleibenden Tage bis zum Heiligen Abend durchzustehen. Das Telefon klingelt. Es meldet sich der Betriebsleiter der Mercedes-Niederlassung in Zagreb. Er wisse nicht, ob er richtig wäre bei uns, aber er hätte auch keine Idee, wen er sonst anrufen könne. Bei ihnen auf dem Hof stehe seit nunmehr einem Jahr ein verunfallter Mercedes 2626 mit Anhänger. Der Wagen sei damals eingeschleppt worden, aber niemand habe sich bisher gemeldet, was damit passieren solle. Nun war der Zoll da und hat Frist gesetzt, den Wagen bis zum 24.12. wieder aus Jugoslawien auszuführen, andernfalls wird er beschlagnahmt und geht in den Besitz des Staates über. Der gute Mann erklärte weiter, dass er keine weiteren Angaben über den Eigentümer des Zuges finden könne und an den Fahrzeugen nur die überlackierten Blechschilder „Köhler Elmshorn“ gefunden hätte. So käme dieser Anruf zustande um zu erfahren, wem denn nun der Zug gehöre.

Im Rahmen eines Daimler-Auftrages hatten wir insgesamt 110 dieser Dreiachser mit Pritschen versehen und mit zweiachsigen Anhängern komplettiert – alle einheitlich in sandbeige lackiert. Sodann wurde durch uns der Auftrag für die Überführung nach Baghdad vergeben, denn wir hatten „frei Haus“ zu liefern, also auch Transport auf unser Risiko. Es kamen aber nur 109 dieser Lastzüge am Ziel an, der letzte war und blieb verschwunden. Die namhafte Überführungsfirma lehnte die Haftung ab und kümmerte sich – wie üblich - nicht weiter um den Verbleib der Fahrzeuge. Also mussten wir einen weiteren Hängerzug bauen. Der vermisste Zug gehörte also der Firma Köhler und nunmehr klärte sich auch sein Schicksal, nachdem er Elmshorn in Richtung Baghdad verlassen hatte. Der Fahrer hatte einen Auffahrunfall, die Kabine wurde total zertrümmert, der Wagen war nicht mehr fahrbereit –der Fahrer war dabei ums Leben gekommen . Und nun blieben noch 5 Tage, um das Gefährt den Fängen des Sozialismus zu entreissen.

Die Rücksprache mit unserem Chef ergab, dass der Zug zurück nach Deutschland müsse, da er doch trotz Unfall einen beträchtlichen Wert darstelle. Am besten zu Mercedes in München, da kann er dann repariert werden. „Na, Herr Sieh, dann fahren Sie mal da runter und holen ihn da weg.“ hieß es dann lapidar. Toll, noch 5 Tage blieben, um das Geschiebe dort rauszuholen und noch wussten wir nicht, was dazu alles nötig sein würde. Dazu musste erstmal eine Bestandsaufnahme vor Ort erfolgen. Unsere Sekretärin Wendy buchte mir schon mal einen Flug nach Zagreb für den Dienstag mit Zwischenstopp in München. Die gelben Seiten gaben Auskunft darüber, wer in der bayerischen Metropole über entsprechend schweres Schleppgerät verfügte. Sodann steckte ich mir 10 000 Mark in die Tasche und das Abenteuer konnte beginnen.

In München suchte ich zunächst einen Abschleppunternehmer auf. Ich hatte auf Anhieb den richtigen ausgewählt: Einen stämmigen Bayern ohne Furcht und Tadel. Ich erklärte ihm die Sachlage mit dem sehr engen Termin und damit verbunden die Tatsache, dass mit ziemlicher Sicherheit der komplette Hängerzug angehängt und nach München geschleppt werden müsse. Das war und ist natürlich nicht legal, weder in Jugoslawien, noch Österreich und schon gar nicht in Deutschland: Der Anhänger muss abgekuppelt werden. Aber unser Urgestein hatte damit keine Schmerzen – auch und speziell im Anbetracht des herannahenden Festes der Versöhnung und des Friedens. Und so verabredeten wir, dass er bei meinem Anruf sofort einen Schleppwagen lossenden würde. Denn zunächst musste ich ja feststellen, ob der Zug problemlos über diese lange Distanz geschleppt werden könne. Naja, und dann noch die Formalitäten….

Der Betriebsleiter von „Autodubrova“ holte mich in Zagreb vom Flughafen ab. Unverzüglich ging es zum Standort des Unfallers zur Bestandsaufnahme. Der Anhänger war völlig in Ordnung. Das Fahrgestell des Motorwagens war ebenfalls unbeschädigt und gerade. Es fehlte nur der vordere Teil mit Stossstange und Kuppelmaul. Und natürlich hatte es die Kabine erwischt: Durch den Aufprall war sie heftig geschrumpft. Zudem hatte wohl auch der Motor etwas gelitten. Dennoch sollte es möglich sein, den Wagen mit einem Kran vorn anzuheben und zu schleppen. Jetzt brauchte ich noch einen cleveren Taxifahrer, mit dem ich mich auch auf Deutsch unterhalten konnte. Den besorgte mir der freundliche Betriebsleiter von „Autodubrova“. Der hatte da einen Schwager …. Aber der Tipp war gut und ich heuerte ihn für den Rest der Woche zu meiner ausschließlichen Verfügung an. Ich ließ mich von ihm ins Hotel bringen und verabredete mich mit ihm für den kommenden Morgen (Mittwoch).

Dann begann das Spießrutenlaufen. Erst mal zum Zoll und herausfinden, unter welchen Bedingungen wir das Fahrzeug außer Landes bringen könnten. Wir verhandelten mit dem Chef des Zollamtes, der zunächst gar nicht davon erbaut war, dass wir ihm den Lastzug sozusagen aus den Fängen entreißen wollten, wo er doch die Frist schon so kurz angesetzt hatte. Aber die dezent vorgebrachte Aussicht auf ein besseres Trinkgeld machte ihn gewogen. Allerdings müsse ein Unfallprotokoll der Polizei beigebracht werden. Das wäre unverzichtbar. Gut, also weiter zur Polizei, auch hier wurden wir an den Chef verwiesen. Und so einfach wollte der es uns nun nicht machen. Zunächst mal den Unfallwagen bezahlen (Quittung beibringen), dann Erklärung des Bergeunternehmers, dass Kosten geregelt sind (Autodubrava) und eine Haftungsübernahme des Versicherung. Oha, das war schon schwieriger, weil nicht mit Bakshish zu erkaufen. Da mussten die Kollegen in der Heimat mal die Hacken in den Teer hauen, denn der Weihnachtsmann spannte schon die Rentiere ein.

Der Donnerstag brachte uns nicht wirklich weiter. Es haperte an der Versicherungsbestätigung; das war ja vorauszusehen. Es half nichts, also noch einmal mit dem Polizeihäuptling verhandeln. Dank meiner Überredungskünste und einiger „blauer Lappen“ war er dann gewillt, eine Haftungsübernahme von der Firma Köhler zu akzeptieren. Wir könnten dann unser Protokoll morgen abholen. So, nun wurde es aber höchste Zeit, den Abschlepper zu ordern. Die hatten ja noch 600 km vor sich, um nach Zagreb zu kommen und ansonsten schien sich ja doch alles zum Besten zu wenden. Die restliche Zeit des Tage verwandten wir nun damit, den Zug soweit herzurichten, dass wirklich nur noch anhängen und losfahren möglich wäre.

Am Freitag – wir schrieben den 23.Dezember - ging die Lauferei weiter: Papiere einsammeln und dann zum Zoll – und das dauerte wieder. Schließlich ermahnte uns der Zöllner noch, dass die Grenze um 22 Uhr geschlossen werde. Aber das schaffen wir ja leicht. So kamen wir dann gegen 14 Uhr bei „Autodubrova“ an. Unser Schleppfahrzeug war glücklicherweise schon da: Eine fette dreiachsige Kaelble Zugmaschine. Dazu gehörte eine sehenswerte Besatzung von zwei Mann, die beide ihre Urwüchsigkeit sichtbar durch Bart und Bauch zur Schau trugen und dieselbe Ruhe und Behäbigkeit ausstrahlten, wie der Kaelble. Die Zeit drückte arg, also bedeutete ich den Jungs, den Zug komplett anzuhängen. „Na, des moch’ ma nett!“ Ja aber wir haben keine Zeit mehr und mit eurem Chef ist es auch vereinbart, dass der Zug zusammen abgeschleppt wird. „Ja seid’s jetzt ihr narrisch! Unmöglich. Da sperrn ´s uns doch glei weg.“ Da halfen keine Worte mehr, also lasst Taten sprechen. So versprach ich jedem von ihnen eine Bonuszahlung in bar in Höhe von 500 Mark bei glücklicher Ankunft in München. Das half. Der Motorwagen kam auf den Haken und der Anhänger wurde angehängt, die Bremsanlage verbunden und eine provisorische Elektrik ans Heck des Anhängers gelegt. Aber wir hatten viel Zeit verloren. Die Belegschaft von Autodubrova ging schon nach Hause, als wir endlich das Fahrerhaus enterten: Links am Volant zunächst der „Loisl“, zur Rechten dann der Franzl und in der Mitte saß ich dann auf der geräumigen Bank hoch über der Straße. Behäbig – sehr behäbig – ging es dann vom Hof, immer Richtung Norden auf die Grenze Spielfeld zu. Ja, unser Schnitt war nicht dazu angetan, als behände bezeichnet zu werden. Vielleicht passt schwerfällig? Naja, „spritzig“ wäre jedenfalls die falsche Wortwahl. Aber wir hatten ja auch durchaus etwas Gewicht und waren wohl auch etwas „unhandlich“ unterwegs. Jedes Mal, wenn uns ein Polizeiwagen begegnete(es waren insgesamt 7 Stück bis zur österreichischen Grenze)), wurde ich ganz klein in meinem Sitz. Aber es ging alles glatt und um 21.30 Uhr hatten wir die Grenze erreicht. Schnell die Papiere gemacht –„Oh, der Schein muss wohl aus Versehen dazwischen gekommen sein.“ Elegant durchlief ich die jugoslawische Zollabfertigung. Keine Kontrolle. Und auch beim Österreicher lief alles wie von selbst. Draußen war es schön kalt und sowieso: Weihnachten…. Stempel auf Versandschein und Laufzettel - und zack! Hatten wir quasi unbemerkt die Grenze nach Österreich überwunden. Und wir hatten uns wirklich viele Gedanken gemacht, ob das problemlos zu machen wäre. Unsere österreichischen Kameraden sind ja nicht immer so geschmeidig. Aber notfalls hätten wir den Anhänger abgehängt und nachgeholt. Hauptsache war, dass wir Jugoslawien verlassen hatten. Aber wo wir nun schon mal so fein am Fahren waren und wo es doch auch so schön dunkel war…. Und so ging es durch die Nacht; langsam aber stetig. Damals fast ausschließlich noch auf Bundesstraßen.

Inzwischen war es hell geworden. Wir hatten mittlerweile das letzte Stück österreichischen Staatsgebietes unter die Räder genommen und fuhren auf der Autobahn, die uns über Salzburg an die Grenze Walserberg bringen sollte. Der Franzl hatte das Ruder übernommen. Es war der 24.Dezember, fast 10 Uhr in der Frühe. Da schoss von hinten ein Mercedes Streifenwagen der Autobahnpolizei an uns vorbei, trat vehement in die Bremse, Warnblinker, Kelle. Franzl lenkte den Schleppzug auf den Standstreifen. „Ja seid’s jetzt ihr wahnsinnig!“ Oha, der konnte sich aber fix aufregen. Wie ein HB-Männchen tanzte der Polizist vor uns umher. „Von allen die Führerscheine und die Fahrzeugpapiere“. Und wir wären ja viel zu lang und es sei ja verboten, einen kompletten Zug abzuschleppen und das Schleppen auf der Autobahn sei doch sowieso verboten. „Also für Sie ist hier jetzt Schluß. Weihnachten san’s net dahoam.“ Heissa, war der in Fahrt. Die Messung der Gesamtlänge betrug dann auch 30,50 m. Allerdings schien sein Kollege doch recht was entspannter zu sein. Und während der Hektiker sich immer mehr in Rage steigerte, nahm ich mir mal den ruhigeren Wachtmeister zur Seite. „Wissen Sie, eigentlich wollten wir den Zug gar nicht zusammen gekuppelt schleppen. Aber wir konnten das Gespann nicht trennen. Offenbar ist durch den Aufprall die Anhängerkupplung verklemmt. Bitte schauen Sie mal selbst. Versuchen Sie doch mal, die Kupplung zu öffnen. Es geht nicht.“ Gut, das konnte er einsehen. (Es war eine Nato-Hakenkupplung, bei der der Sicherungshebel hinter der Kupplung etwas versteckt angebracht ist). Der Trick hatte glücklicherweise funktioniert. Und so zogen sich die beiden zur Beratung in ihren Streifenwagen zurück. Derweil saßen wir im Fahrerhaus und warteten ziemlich bange auf das, was da kommen sollte. Fünf Minuten – zehn Minuten – fünfzehn Minuten – immer wieder griffen die Polizisten zum Telefon. Endlich flogen die Türen auf und die getreuen Hüter des Gesetzes kamen zu Franzl an die Tür. „Also weil heut Weihnachten ist: San’s mit einer Geldbusse von am Tausender einverstanden? Dem Franzl viel ein Stein vom Herzen „Aber sicher.“ „Moment“ rief ich dazwischen: “Reden wir über Mark oder Schilling?“ Es waren Schilling. Die Männer waren wie ausgewechselt. Die Schillinge wechselten den Besitzer. „Und jetzt fahren Sie bitte hinter uns her. Wir geleiten Sie die letzten 10 km bis zur Grenze hinauf.“ Und so ging es mit Blaulicht voran zum Walserberg.

Am Grenzübergang war kaum noch Betrieb. Dauerte es sonst Stunden, um all die Stempel auf dem Laufzettel einzusammeln, damit man den Zollhof wieder verlassen konnte, ging es diesmal im Handumdrehen. Schnell beim Spediteur noch eine Versandscheinabfertigung geordert und dann ging die wilde Fahrt weiter auf München zu. Kurz vor 15 Uhr konnten wir schließlich bei Daimler-Benz am Mittleren Ring abhängen. Nun konnte ich auch meine beiden Weggefährten entlassen. Klar: Sie haben sich auch über die 500 Mark gefreut – wer täte das nicht. Aber wir waren Freunde geworden. Die Ängste, die Nöte, sie hatten uns zusammengeschmiedet. Servus Alois, Servus Franz, eine schöne Weihnacht. Vielleicht sieht man sich mal wieder. Tja, sprunghaft ist das Leben auf der Straße. Schnell ins Taxi und ab zum Flughafen. Pünktlich um 18 Uhr hob mein Flieger nach Hamburg ab. Es war knapp, aber um 20 Uhr saß ich mit meiner Freundin unterm Weihnachtsbaum. Sie kannte das schon aus früheren Jahren und auch an den folgenden Weihnachten sollte sich daran nichts ändern. Es heißt doch „Heiligabend“. Da langt es doch wohl, wenn man rechtzeitig am späten Nachmittag auf den Hof kommt.