Der Henschel HS 100

Da wir gern das Treffen 1985 in Warstein mit einem ansehnlich hergerichteten Tiger besuchen möchten, steht eine Aufarbeitung und Lackierung an. Dadurch fällt der Wagen natürlich zunächst mal für das genussvolle Cruisen aus. Als muss ein Ersatzfahrzeug her. Was liegt da näher, als nach einem Henschel zu suchen – und zwar nicht irgendeinem, nein ein HS 100 soll es schon sein. Wer die Vorgeschichte kennt, weiß auch sofort, warum das so sein muss. Nicht nur das Äußere, die putzige Stupsnase, die schon Ähnlichkeiten mit der Schnauze unseres langjährigen vierbeinigen, zotteligen und treuen Begleiters Alfons erinnert, nein auch das tolle Fahrgefühl am Volant dieses knuffigen Brummers – immer noch präsent, trotz langjähriger Abstinenz – lassen keine andere Wahl zu.

Natürlich findet sich denn auch ein entsprechender Wagen der Begierde. Telefonate lassen schnell erkennen: Dieses Vehikel muss es werden, er ist komplett und fahrfähig. Auch der Preis kann nicht unbedingt abschrecken. Einzig das Auto steht am Arsch der Welt, just am anderen Ende der Republik: In einem verwunschenen Drei-Seelen-Dorf nahe Tullingen kurz vorm Bodensee. .Nun fügte es sich, dass unser Chauffeur Holger in den Osterferien besagten Jahres 85 seine Bekannten im Süden zu besuchen gedachte, kaum dass es ein Umweg wäre, uns auf dem Wege am vereinbarten Treffpunkt abzusetzen – einer etwas entlegenen Dorfkneipe . Socken und Schlüpfer sowie Waschbüddel waren schnell gepackt, noch rote Kennzeichen eingesäckelt und so nahmen Jutta und ich im Fond des BMW Platz, um in überaus flotter Fahrt dem fernen Ziel entgegen zu eilen. Und selbstverständlich war auch Alfons mit an Bord und vervollständigte so unser Dreierteam.

Unser Holger setzte uns an der Kneipe ab und mit einem flotten Wedler zog er von dannen. Unser Vermittler holte uns an der Kneipe ab – es war bereits Ostermontag - und so begaben wir uns zu einem abgelegenen Bauernhof. Und da stand er nun, der Henschel. Total komplett, ein bisschen wellig hier und da, aber nicht vergammelt. Auch er Motor lief recht vertraut und die wenigen Meter, die zur Probefahrt möglich waren, waren durchaus verheißungsvoll. Es funktionierte alles. Der Henschel hatte seinem derzeitigen Besitzer nur noch dazu gedient, in den letzten Jahren seiner aktiven Zeit Holz aus dem nahe gelegenen Wald Stammholz zu holen, um Feuerholz daraus zu machen. Auch das, so dünkte uns, konnte Garant dafür sein, dass dem Kipper ein recht beschauliches zweites Leben vergönnt gewesen war. Und so wurde der Handel abgeschlossen.

Am frühen Nachmittag war es dann so weit. Die roten Nummern waren montiert, diverse Birnchen waren getauscht, Frau und Hund waren verstaut und gemächlich rollten wir vom Hof. Vielleicht wäre „behäbig“ die bessere Wortwahl gewesen. Der Vortrieb verdiente kaum diesen Namen. Mühsam, ja eher qualvoll beschleunigte unser Henschel, kraxelte der Tacho in Schneckentempo der 30er Marke entgegen, dann war Schluss. Welche ein Schreck, der Motor war komplett verpekt und weigerte sich, schneller zu drehen. Glücklicherweise gibt es in der Gegend jedoch einige Erhebungen, wenngleich auch noch keine richtigen Berge. Bergauf hatten wir schon beabsichtigt, Alfons vorzuspannen, aber bergab ließen wir unseren Neuerwerb mit Vollgas laufen und nutzten den Schub des Gefälles, um den Motor freizublasen und so lernte er langsam , sehr langsam, wieder etwas flotter zu fahren.

Im Anflug auf Stuttgart wurden wir jäh an der Weiterfahrt gehindert. Es kam die rote Kelle. Zwar ließ der Henschel keine Beanstandungen zu, aber schließlich befand sich die Republik in wohl verdienter Feiertagsruhe. Da darf doch so ein Lastwagen des Bürgers friedvolle Erholung nicht stören. Wozu gibt es denn wohl ein Sonn- und Feiertagsfahrverbot? Zwar hatte ich den Kipper in das rote Büchlein in weiser Voraussicht mit 7,49 Tonnen Gesamtgewicht eingetragen. Dummerweise wollten das die beiden gestrengen Wachtmeister aber nicht so recht glauben. Der Blick auf das Typenschild – herrjeh wie blöd kann man nur sein, es nicht zu demontieren – gab ihnen denn auch Recht. Mitten auf freier Strecke durften wir dann den Henschel auf einem Parkstreifen abstellen. Die Warterei bis 22 Uhr des Abends zehrte sehr an unserem Kampfgeist. Glücklicherweise hatten wir eine Wolldecke im Gepäck. Und so richteten wir uns ein Lager auf der angrenzenden Wiese ein. Ne Flasche Selter hatten wir ja auch noch, die wir uns mit Alfons teilten, ne Tafel Schokolade konnte den aufkommenden Hunger besänftigen und glücklicherweise war es trocken.

Pünktlich um 10 vor 10 des Abends ging es dann weiter. Der kleine Henschel wurde immer knackiger und nach mannigfaltigen Berg- und Talfahrten hatten wir ihn bei Würzburg wieder auf knapp 80 km/h dank des Stufengetriebes. Inzwischen hatte allerdings Regen eingesetzt. Unglücklicherweise hatten wir jedoch vergessen, die Funktion des Wischers zu testen. Da tat sich nämlich überhaupt nichts. Aber man hat ja seine Hausmittelchen. Da wäre zunächst mal der Apfel, den man halbiert und damit über die Scheiben wischt. Toller Einfall: Bei der vehementen Geschwindigkeit weigerte sich jeder einzelne Tropfen, das Sichtfeld freizugeben. Kurz: Ein Gummischaber musste her, um bisweilen mal über die Scheibe zu wischen. Bei zunehmendem Regen wollte auch das nicht so recht befriedigen, also Wischgestänge ausgehakt, Band an den Armen befestigt und durch die Ausstellfenster geführt und im Bedarfsfall mal eben links oder rechts dran gezogen – perfekt. So kamen wir dann in Bilsen an.

Eine lange Ruhepause war dem 100er nicht vergönnt. Flugs wurde geschliffen und das Nötigste gedengelt und schon erfolgte die farbliche Anpassung. Das hässliche braun und grün musste unseren Farben weichen. Es gab neue Rücklichter und einen Satz Winker – fertig. Und schon an Himmelfahrt konnten wir das gute Stück in Brokstedt auf dem Bulldogtreffen 85 vorstellen. Alle Helfer waren mit von der Partie, auf der Kipperbrücke wurde die Bierzeltgarnitur aufgebaut, ausreichend Köm und Bier an Bord genommen und so konnte der Durchmarsch gebührend begossen werden.

Lange sollte unser Henschel allerdings nicht bei uns bleiben. Schon im Herbst musste er uns verlassen. Die Reise ging zu Ulli Röse, der einen Krupp Frontlenker im Tausch offeriert hatte. Alle Proteste halfen nicht, wann gibt es schon mal einen 901 Fernverkehrswagen im Angebot.

Impressionen: