Der Tiger

Ich fand Kontakt zu Helmut Buscher, dem König der Bilder. Ich ließ mir alle Aufnahmen von Schrottplätzen kopieren, auf denen er und seine Kollegen Krupps abgelichtet hatten. Aber ich war zu spät. Die Spuren verloren sich. Und dann – auf einmal – wurde mein Sehnen belohnt. Man muss nur fest genug dran glauben. In Holland bot Arie Spaansen in der neu ins Leben gerufenen Oldi-Zeitschrift „Der Elefant“ einen Krupp Kastenwagen an. Die Zeitung flog in die Ecke, ran ans Telefon: „Ja, ich bin zuhause“. Also flugs ins Auto gesetzt und ruckzuck standen wir im holländischen Winkel nicht nur Arie, sondern auch dem angebotenen Objekt gegenüber. Naja, sehr schick war er nun allerdings nicht, aber hübsch bunt. Immerhin war es ein Krupp, wenngleich auch bedauerlicherweise kein Mustang, sondern der größere Bruder, nämlich ein Tiger mit 5-Zylinder Motor. Und es war ein Kastenwagen, eine Bauweise, die mir schon immer gut gefallen hatte. Ich erinnerte mich nur zu gern an die ebenso aufgebauten Züge von Gerhard Teckentrup aus Beckum, die uns auf unseren Fahrten nach Essen immer entgegen gekommen waren. Arie nannte seinen Preis – es verschlug mir doch ein wenig den Atem. Für die damalige Zeit war es schon ein Batzen Geldes. Aber wie heißt es doch so schön in der Werbung: Wer das Beste liebt, trinkt Pedro Kaffee – Verzeihung, es sollte heißen „…fährt Krupp Lastwagen“.

Rückblick: 1956 wurde der Krupp Tiger mit einem 16-Tonner Anhänger bei Kässbohrer in Ulm fertiggestellt und seinem Erwerber, den Continental Gummiwerken übergeben. Er blieb bis 1967 im Dienst und lief im Werkverkehr zwischen den Werken Hannover und Korbach. Diese Strecke führte durch die Kassler Berge. Und weil die Fahrzeuge von Krupp als die ungekrönten Bezwinger der Berge galten, trat auch danach wieder ein Krupp – diesmal ein V8 Cummins – die Nachfolge an. Unser Krupp nun wurde nach seiner aktiven Zeit an einen Schausteller verkauft, der mit ihm seine Reisen absolvierte. Nach dessen Ableben fristete der Tiger dann seine Tage unter den Apfelbäumen im Hannoverschen. Als solcher war er gut auszumachen und durchaus kein Unbekannter in der Szene. Schon eine ganze Reihe von Sammlern war in Hannover Osterwald vorstellig geworden, um den Wagen zu erwerben. Aber daraus wurde nichts: Im treuen Gedenken an ihren verstorbenen Mann blieb der Wagen im Besitz der Witwe. Auch Arie Spaansen trat bisweilen in die Tür der Schaustellerwitwe, hofierte sie ein wenig, schmeichelte hier, forderte dort, verhalten zwar, aber stetig wiederkehrend. Und so war schließlich die Zeit reif und auf spektakuläre Weise gelangte nun der Tiger in die feuchten Niederungen Hollands.

Was soll ich sagen? Natürlich konnte ich nicht wiederstehen und so wurde der Krupp gekauft. Wann kommt noch einmal eine solche Gelegenheit? Die Kohle drückt zwar, aber es wird schon gut gehen. Eine Anzahlung wurde geleistet und als Beweis unseres Übereinkommens übergab uns Arie das sogenannte „Schiffchen“ mit den drei Ringen, welches üblicherweise den Kamm der Kühlerhaube ziert. Wieder daheim wurde sofort mit den Vorbereitungen für den Transport begonnen. Flugs mieteten wir einen Tieflader an, spannten unseren MAN davor und zusammen mit unserem Chauffeur Holger ging es nach Winkel, um den Tiger abzuholen. Der Wagen wurde ohne Probleme verladen- rückwärts, also mit dem Heck in Fahrtrichtung- und wir hatten noch einen netten Nachmittag mit Arie und Trudie, seiner Frau. Dann ging es auf die Reise …..bis zur ersten Brücke. Mit einer Vollbremsung konnte Holger gerade noch das Schlimmste verhindern. Aber leicht angeditscht ist er dennoch. Seitdem hat der Tiger oberhalb des Heckportals eine Beule. Wir waren einfach etwas zu hoch. Neunzig und Dreisechzig macht mindestens viervierzig, vielleicht auch vierfünfzig. Also fuhren wir zurück nach Winkel und mit Arie’s Hilfe wurden die Räder abmontiert. Und so präpariert kamen wir bis nach Hause.

Man nennt es gern „fahrgeil“. Die hässliche Farbgebung musste natürlich erstmal neutralisiert werden. Blau und Rot – die Hausfarben – lassen schon mal die Verbundenheit mit der neuen Heimat durchblicken. Wann immer es der Tag zuließ, waren wir unterwegs, um dem Zweitakter das Laufen wieder beizubringen. Welch herrliches Fahren und dann der unvergleichliche Sound des kraftvollen Motors, das Brummen des Roots-Gebläses, das Schnarren der Kupplung – auch Könige können nicht schöner reisen. Wir fahren durch das kleine Örtchen Barmstedt. Der Zweitakter röhrt durch die Gassen und dadurch aufgeschreckt wirft kurz vor uns ein junger Mann sein Fahrrad zu Boden, reißt die Kamera hoch und erwischt uns im letzten Moment. Die erste Begegnung mit unserem langjährigen Hausfotografen „Mauschelöl“ Michael Horstmann selig. Aber ein solch herrliches Fahrzeug braucht auch unbedingt ein passendes Kleid. Also wird alles mobilisiert, was sich an Helfern anbietet und in einem Gewaltmarsch wird er Wagen im Frühjahr 85 neu aufgemöbelt. Die Trapezbleche am den Seiten und am Heck verschwinden und die dahinter krumm und schief gefahrenen Karosseriepartien werden wieder geglättet bzw. neu verblecht. Ebenso ergeht es den Kotflügeln, den Türen und der Nase. Und so rollen wir bereits frisch in Schale 1985 zu unserem ersten Oldtimer-Treffen zu den Heckers nach Warstein. Im weiteren Verlauf wird der Wagen aufgerüstet. Es folgt die Beschriftung der Türen, wie es in den 30er Jahren vorgeschrieben war, die Stirn wird mit Anhängerdreieck und Flügelrad dekoriert, die Stoßstange erhält eine zeittypische Bemalung, ein Fernverkehrsschild mit der roten Konzession wird montiert. Alles Attribute denen bisher noch niemand Aufmerksamkeit geschenkt hatte, die aber einen Fernlaster erst ausmachen. Und wir kommen ja schließlich aus dem Fernverkehr.

Jährlich eine Veranstaltung, mehr gibt es nicht. Aber wir sind mit dabei. 86 in Castrop-Rauxel, 87 wieder in Warstein. 88 folgt ein spektakulärer Coup. Es gelingt, Horst Gassmann einen Kässbohrer Kofferanhänger aus dem Kreuz zu leiern. Vermutlich hat er noch nie zuvor so billig ein Fahrzeug abgegeben. Und natürlich holen wir den Hänger mit dem Tiger ab. Er wird flugs aufbereitet und fürderhin ist dies nun der erste komplette Hängerzug in der Szene. Was ist schon ein Ferntransporter ohne Anhänger. Es folgen viele Reisen. 89 rufen wir das erste Krupp-Treffen auf dem Gelände der Villa Hügel in Essen ins Leben. Es folgen die ersten Treffen der Oldi-Freunde im Norden, der erste Stammtisch und immer ist der Tiger dabei. Nicht immer geht es ohne Malesche ab. So beispielweise beim Krupp Treffen 1993, welches Heinz-Bruno Hecker in Essen arrangiert. Ich versäge doch glatt die Kopfdichtung von dem neu überholten Motor! Nicht rechtzeitig die Kopfschrauben nachgezogen! Bei einer Reise aus Castrop-Rauxel beginnt m Elbtunnel der vordere rechte Reifen zu brennen. Gerade noch rechtzeitig bekomme ich das Rad von der Nabe dank Trilex. 6 Bolzen und 27 mkg Anzugsmoment verschaffen mir die nötige Zeit, um den Reifen gerade noch rechtzeitig vor den Wagen zu schmeißen, da schlagen schon die Flammen heraus.

Aber irgendwann muss mal etwas Neues passieren. 15 Jahre lang hat sich der Tiger tapfer geschlagen, aber nun beginnt die Zeit an ihm zu nagen. Also geben wir ihm eine Runderneuerung. Auch der Anhänger kriegt gleich sein Fett mit ab. Anlässlich eines Besuches bei der Spedition Körner in Kitzingen konnte ich Trilex Radnaben ergattern. Jetzt war also die Gelegenheit, die Achsen umzurüsten. Wie aber sollte nun das Äußere sich zukünftig präsentieren? Die Verhandlungen mit einer Schnapsfabrik waren eigentlich schon in trockenen Tüchern. Aber so ganz überzeugt war ich nicht. Eigentlich könnte es gern etwas sein, was keine negativen Gefühle bei den Betrachtern auslösen sollte. Schnaps – schwierig – schafft bisweilen viel Vergnügen, hat aber auch schon viel Leid verursacht. Es sollte doch besser ein Produkt sein, welches den Menschen positive Reflexe bescheren möge. Und so kam ich auf Dr. Oetker. Naja, zufällig kannte ich da Jemanden im Hause, der etwas Oldtimer belastet war. Dank seiner Schützenhilfe gelang der Coup: Ich bekam die Oetkers ins Boot. Die Farbgebung entsprach nicht ganz ihren Vorstellungen. Aber wer mich kennt, weiß auch, dass ich mir da nicht reinreden lasse. Und so rollten wir im Sommer 1999 in frischem Kleid zu den Oetkers in die Firmenzentrale nach Bielefeld, um den Zug vorzustellen.. Und auch der Senior Dr. Rudolf August Oetker persönlich ließ es sich nicht nehmen, „ den Mann kennenzulernen, der ihnen einen so prachtvollen Lastzug zu präsentieren hatte“. Ein neues Herz konnten wir ihm noch spendieren und seitdem ist seinem Tatendrang keine Grenze gesetzt. Seit der Jahrhundertwende sind wir allerdings überwiegend in skandinavischen Gefilden unterwegs: Dänemark, Norwegen, Schweden und wohl bald auch Finnland sind unsere bevorzugten Ziele frei nach dem Motto: Mich brennt’s in meinen Reiseschuh’n…

Impressionen: