Werner Wolff

Schon im März 86 geht es wieder auf Bergetour. Es galt, eine seltene Schönheit vor der Schrottzange zu retten. Und das ging so: Jenseits der Elbe in Buxtehude, der Heimatstadt von Hase und Igel, befand sich ehemals eine kleine Autowerkstatt, die einem gewissen Hans Röhrs gehörte. Besagter Herr hatte sich nach dem Krieg als Fuhrunternehmer verdingt bei der Lübecker Grossschlachterei Hemmersam & Rassmussen. Als Nachfolger für einen alten White aus Beständen der amerikanischen Armee wählte er – weise wie er nun mal war – einen Krupp Mustang zum Nachfolger. Der hinterließ offenbar einen bleibenden Eindruck bei dem guten Mann, der auch ansonsten gern schnell unterwegs war. Als Rallyfahrer konnte er so manchen Pokal erringen. In Buxtehude etablierte er seine Werkstatt, in der auch seine BMWs zum Zwecke des schnelleren Vorankommens frisiert wurden.

Aber sein Herz schlug eben auch für die Lastwagen mit den drei Ringen. So mancher ausgediente Lastenesel aus dem Hause Krupp fand seine letzte Ruhe in Buxtehude. Als wir im Sommer 85 dort erstmals aufschlugen, stand der Hof voll mit Zweitaktern und den Nachfolgern mit Cummins Motoren. Zudem gab es ein großes Lager an gebrauchten Ersatzteilen, weshalb wir häufige dort vorstellig wurden. Unter Anderem fanden sich dort auch zwei Fahrzeuge aus dem Bestand der ehemaligen Konservenfabrik Heins aus Marne. Welch ein Wunder, einer dieser Wagen, ein Krupp 960 mit Cummins 6-Zylinder Motor, war aus dem Bestand der pleite gegangenen Firma Erich Jacks zunächst bei Heins und nach deren Pleite bei Hans Röhrs gelandet. Allerdings hatte ein Auffahrunfall das Führerhaus total demoliert. Bis heute bedauere ich, ihn mit dem dazugehörigen Thermosanhänger nicht trotzdem mitgenommen zu haben. Aber die pekuniären Verhältnisse waren seinerzeit bereits derbe ausgereizt.

Und noch ein weiterer Krupp mit ruhmreicher Historie stand dort traurig am Zaun: Der 901-Kastenwagen von Werner Wolff aus Stockelsdorf, aufgebaut von Ackermann. Auch dieser Wagen war mir bestens bekannt. Werner Wolf und Erich Jacks fuhren abwechselnd die Frischfleischtransporte aus dem Holsteinischen nach Essen. Dort unterhielt der Konzern seine eigene Lebensmittelkette unter dem Namen „Krupp Konsum“. Der Wolff‘sche Lastwagen erlangte deshalb große Bekanntheit, weil er in Händen von Franz Bach, dem Schwiegersohn von WW, weit über eine Million Kilometer mit einem Motor zurückgelegt hatte. Da stand der Kilometermillionär also nun mit schwer maroder Front, ohne Motor, ohne Getriebe und mit defekter Hinterachse. Wie oft habe ich ihn von Willi Kohrs gekauft, der den Nachlass verwaltete. Und immer wieder sagte ich ihm kurz darauf wieder ab. Das Auto war zu schlecht. Wie oft habe ich mit Achim beratschlagt, dies seltene Fahrzeug an Land zu ziehen. Ebenso oft haben wir es wieder verworfen. Und doch, im Frühjahr rufe ich erneut bei Willi an: Ick nehm em nu doch, Willi, wi koomt Sünnaabend vorbi und holt em endgültig weg.“ Aber daraus wurde nichts. „ Du büst to laat. Nu is he verköft.“ In letzter Sekunde hatte Willi den Wagen an einen Sandstrahlbetrieb verkauft, der ihn als Lager nutzen wollte. Der hatte sich für Samstag 10 Uhr angemeldet, mit Brenngeschirr bewaffnet, um den geschlossenen Aufbau vom Chassis zu trennen. Das konnten wir doch wohl nicht reinen Gewissens zulassen!

Früh des Samstag Morgens enterten Achim und ich den V8 und strebten gen Buxtehude. Kaum angekommen, erschien auch schon der Sandstrahler mit einem Tieflader und vorgespanntem MAN Haubenwagen. Da ihm nur an einer geschlossenen Lagermöglichkeit gelegen war, konnte ich ihn überzeugen, von mir einen Container zu nehmen und dafür den Werner Wolff uns zu überlassen. Die geforderten 300 Mark drückte ich Willi in die Hand, die Situation ließ kein Zurück mehr zu. Also fuhren wir zunächst nach Bilsen, um den Container zu verladen, dann ging es zurück nach Buxtehude mit einer extra schweren Schleppstange im Gepäck. Nachdem wir den Wagen endgültig aus seinem Moosbett befreit hatten, wurde angehängt. Oha, Schleppstange steht mal wieder sehr steil nach oben. Noch die Lichtleiste nach hinten verlegt und dann konnte Achim durch das fehlende Kühlergrill ins Innere kriechen und nahm in diesem großen Auto hinterm Steuer Platz. Rollen konnte er ja. Die Bremsen hatten wir freigekloppt. Ohne Motor, Getriebe, allerdings auch ohne die Möglichkeit, mittels Bremse in das Geschehen eingreifen zu können, machten wir uns auf den Weg. Der V8 spürte das Gewicht. Wenngleich auch die Aggregate fehlten, so wurde das um ein Vielfaches kompensiert durch die wertvolle Ladung, die sich im Inneren des Kastenaufbaus verbarg. Der war komplett voll mit Achseinsätzen, Getrieben und Motorenteilen. Ich hatte weit mehr als 10 Tonnen ungebremste Last am Haken. Naja, es ging ja alles gut, wenngleich das Gefälle im Elbtunnel denn doch für Achselnässe sorgte. Das ganze Geschiebe war eben recht instabil.

Nun galt es also, den Wagen wieder flott zu machen. Zunächst bauten wir einen 5-Zylinder Zweitaktmotor wieder auf. Teile hatte wir zwischenzeitlich schon in nicht unerheblicher Zahl zusammengeräubert. Ein AK-6-80-Getriebe fand sich auf dem Aufbau und auch ein passender Achseinsatz hatte dort die Zeiten überdauert. Nachdem der Antriebsstrang also wieder im Fahrzeug verbaut war, stand nun früh an einem Sonntagmorgen die Probefahrt an. Die Bremse ging zwar noch nicht, auch die Kupplung hatten wir noch nicht zum Funktionieren überreden können, die Beleuchtungsanlage konnte man durchaus als mangelhaft bezeichnen und wozu braucht man eine Tür? Die roten Nummern wurden angehängt und mit kernigem Grollen rollte ich zur Hofeinfahrt. Kurzer Halt, von links kam noch ein PKW, dem die Vorfahrt zu gewähren war….aber oh weh, was war denn das: Im Vorbeihuschen erkannte ich in dem zivilen Wagen, dass die beiden Innsassen Achselstücke trugen – die Schmiere! Das konnte nicht gutgehen. Also setzte ich den Krupp zurück. Zunächst mal musste Klarheit her, was die beiden Strolche im Schilde führten. Sie hatten ganz offensichtlich unser Vorhaben erkannt, ein Spritztour über die Bundesstraße zu machen, waren aber – die Scheinheiligkeit in Person – wahrscheinlich schon fröhlich ein Liedchen trällernd -weitergefahren, um uns im nahen Waldparkplatz aufzulauern. Also musste zunächst ein Späher ausgesandt werden. Jutta bestieg also einen unauffälligen PKW und erkundete die Strecke. Und richtig, auf dem Parkplatz im nahen Rantzauer Forst warteten die Schergen schon auf uns. Also verweilten wir zunächst noch ein wenig, bis Jutta schließlich den Abzug der Ordnungsmacht melden konnte. Zack ging es nun auf die Straße und flink wie ein Wiesel fuhren wir bis zum Parkplatz und schnell wieder zum Hof zurück. Funktionsprobe einwandfrei bestanden –okay, die paar Kleinigkeiten mussten halt noch gemacht werden.

Zunächst wurde der WW bei uns im Fahrsilo eingelagert, fand dann aber bei Achim in seinem Lager Unterschlupf. Lange Jahre passierte nichts, aber immerhin war dieses seltene Auto im wirklich allerletzten Moment vor der Feuersäge gerettet worden. Letztendlich diente es als Tauschobjekt, denn Franz-Josef Backhaus meldete verstärktes Interesse an dem Wagen an und so gelangte er dann nach Warstein, wo er seiner fachmännischen Vollendung in absehbarer Zeit entgegengeht. Als Gegenzug bot Franz-Josef an, Achim’s Mustang-Fahrerhaus zu beblechen. So fügt sich auf wundersame Weise zusammen, was zusammen gehört.

Impressionen: